#wannwennnichtjetzt - Antirassismus ist mehr
geschrieben am 5. September 2018 um 12:52 Uhr · Tags: artikel

Unter dem Motto #Wirsindmehr haben sich am 03. September 65.000Menschen in Chemnitz versammelt, um den Auftritten von Bands wie Feine Sahne Fischfilet, Kraftklub, K.I.Z. oder den Toten Hosen beizuwohnen. Den Hintergrund für die Veranstaltung bildeten die pogromartigen Ausschreitungen und Demonstrationen, in deren Zusammenhang rechtspopulistische Gruppen und Parteien wie Pro Chemnitz und AfD in engem Schulterschluss mit rechten Hooligans und organisierten Neonazis die Stadt in den letzten Tagen zu einer No-Go-Area für Migrant_innen wie auch Antirassist_innen werden ließen. Den Anlass für eben jene Ausschreitungen und Aufmärsche bildete der tragische Tod des 35-jährigen Daniel H., der am 26. August seinen Stichverletzungen erlegen ist, die ihm im Zuge einer nächtlichen Auseinandersetzung zugefügt worden sind.

Die Polizei schien während der rechten Ausschreitungen vom 26. und 27. August oftmals unfähig, ja gar unwillig, ließ den rechten Mob unbehelligt gewähren oder richtete ihre aus Überforderung resultierende Aggression letztendlich gegen die anwesenden Gegendemonstrant_innen. Angesichts des rassistischen Mobs, der sich in den letzten Tagen in Chemnitz weitestgehend ungebremst austoben konnte, angesichts einer Polizei, die nicht interveniert hat, als Hitlergrüße gezeigt und Gegendemonstrant_innen wie auch Journalist_innen von rechten Hooligans und Neonazis mit Schlägen, Tritten, Flaschen und bengalischen Feuern attackiert wurden, ist es natürlich ein begrüßenswerter symbolischer Akt, wenn sich 65.000 Menschen versammeln, um an einem Konzert gegen Rassismus teilzunehmen.

Uns stellt sich jedoch die Frage, welcher politische Mehrwert für die Zukunft Sachsens wie auch Gesamtdeutschlands mit diesem Konzert verbunden ist. Es kann ein Anfang sein, bewusst an einem Konzert mit antirassistischer Ausrichtung teilzunehmen. Es kann ein Anfang sein, de von der Bühne geäußerten Ansagen Applaus zu spenden, die sich explizit gegen Rassismus und rechte Hetze richten. Es kann ein Anfang sein, zusammen mit Tausenden anderer Menschen lauthals „Alerta antifascista!“ zu rufen. All das kann ein Anfang sein, aber es kann, es sollte, ja es darf nicht das Ende dessen sein, was wir unter antirassistischem wie auch antifaschistischem Engagement verstehen.

Antirassismus und Antifaschismus beginnt für uns nicht auf einem solchen Großevent im Schutze der Massen, sondern inmitten unseres eigenen Alltags, in dem wir – gerade in der sächsischen Provinz – oftmals das Gefühl haben, Einzelkämpfer_innen zu sein, die sich nicht nur Konflikten mit Neonazis und Rassist_innen, sondern auch mit staatlichen Institutionen ausgesetzt sehen, die unser Engagement für Menschenrechte kritisch beäugen. Demnach freuen wir uns als Verein stets sehr darüber, wenn uns Solidarität entgegengebracht wird, indem Menschen unsere Veranstaltungen besuchen, Vereinsmitglieder werden oder uns mit materiellen wie auch finanziellen Spenden unterstützen, um auf diesen Wegen dem Gefühl des Alleinseins aktiv etwas entgegenzusetzen.

Als noch weitaus wichtiger und wünschenswerter erachten wir es jedoch, dass Menschen in ihrem eigenen Alltag, in ihrem eigenen Umfeld gegen rechte und rassistische Hetze aktiv werden. Das beginnt für uns schon damit, die Straßen von rechter Propaganda zu säubern, indem man z.B. rechte Aufkleber entfernt. Das beginnt für uns damit, rechte Stammtischreden und Pöbeleien auf der Straße, im Bus, in der Bahn, in der Schule, am Arbeitsplatz oder daheim nicht unwidersprochen zu lassen, sondern entschlossen gegen Menschenverachtung und Rassismus zu protestieren. Das beginnt für uns damit, sich mit den Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt – sei sie nun physischer oder psychischer Natur – zu solidarisieren.

Das beginnt für uns aber auch damit, Initiativen und Vereine zu unterstützen, die sich antifaschistisch und antirassistisch engagieren, indem man beispielsweise deren Veranstaltungen besucht und mit den Akteur_innen in den direkten Dialog tritt. Denn oftmals sind es eben jene zivilgesellschaftlichen Akteur_innen, die Strukturen schaffen, um denjenigen, die sich gern gegen Rechts engagieren möchten, weitere Handlungsmöglichkeiten eröffnen – so z.B. die Mithilfe bei der Organisation einer Veranstaltung. Aus diesem Grund teilen wir auch den Aufruf #wannwennnichtjetzt vom Treibhaus e.V., da er uns im Grunde aus dem Herzen spricht.

Antifaschismus und Antirassismus dürfen – gerade angesichts der heutigen gesellschaftlichen Zustände – keine stillschweigenden Gedanken sein, Antifaschismus und Antirassismus erfordern kontinuierliches Engagement und aufrichtiges Handeln. Denn nur durch nachhaltiges Handeln werden wir gesellschaftliche Prozesse mitgestalten und langfristig gesehen positive Veränderungen erwirken können – demnach sollte unser Handeln mehr als der bloße Besuch eines Konzerts sein, wenn Antifaschismus und Antirassismus erfolgreich sein will!