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Gedenkstättenfahrt 2012

Fahrt in das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau

Es sollte die letzte Gedenkstättenfahrt des Vereins Bon Courage e.V. in das polnische Städtchen Oświęcim, von tragischer Bekanntheit unter dem deutschen Namen Auschwitz, sein. Doch nach einer weiteren gelungenen Fahrt ist nun klar, dass dieses einmalige Angebot in Sachen politischer und kultureller Bildung für Jugendliche in und um Borna auch in Zukunft wieder möglich sein wird.

Im Rahmen der diesjährigen Fahrt haben wir besonderes Augenmerk auf die Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja gelegt, welche ebenfalls vom NS-Regime verfolgt und systematisch ermordet wurden. Hierzu trafen wir Vertreter*innen der Sinti*zze-und-Rom*nja-Gesellschaft sowie einen Zeitzeugen, die uns im Dialog und durch Präsentationen viele Informationen übermitteln und zahlreiche Fragen beantworten konnten.

Erinnern heißt Handeln

Getreu dem Gedanken „Wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“ organisierte der aus Borna bei Leipzig stammende Verein Bon Courage e.V. auch im Jahr 2012 zum nunmehr 5. Mal eine fünftägige Gedenkstättenfahrt in das ehemalige Vernichtungs- und Konzentrationslager im polnischen Auschwitz.

In der Nacht vom 04. auf den 05. April 2012 brachen insgesamt 23 interessierte Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Raum Leipzig – begleitet von vier Teamer*innen des Vereins – mit dem Bus Richtung Polen auf, um eine Zeitreise in das zweifelsohne düsterste Kapitel der deutschen, ja gar der gesamten Menschheitsgeschichte zu wagen. Wie bereits in den vorangegangenen Jahren bildeten die beiden mehrstündigen Führungen durch die Lagerabschnitte Auschwitz I – das so genannte Stammlager – und Auschwitz II – besser bekannt als Auschwitz-Birkenau – erste Möglichkeiten, sich diesem schwierigen, emotional aufrüttelnden Themenkomplex totaler Vernichtung anzunähern.

Von Kaputzen und Mützen bedecke Hinterköpfe blicken auf zwei Schautafeln, die in Strichzeichnungen das Lagerleben zeigen. Zum Beispiel marschieren auf dem oberen Bild KZ-Häftlinge durch das Lagertor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei".Das untere Bild zeigt eine Musikkapelle, die spielt, während andere KZ-Häftlinge vorbei marschieren müssen. Neben den beiden Schautafeln steht eine Frau mit einer Baskenmütze und einem großen bunt gefärbtem Schal um die Schultern gewickelt. Ihre rechte Hand deutet gerade auf eines der Bilder, und auch sie blickt darauf. Die Teilnehmer*innen tragen Kopfhörer.
Die Führung über das Museumsgelände mit Ewa Pasterak.

Darüber hinaus hatte sich der Verein bei der Planung der Bildungsreise erstmalig einen thematischen Schwerpunkt gesetzt, in dessen Rahmen das oftmals wenig beachtete Schicksal der Sinti*zze und Rom*nja im KZ Auschwitz näher beleuchtet werden sollte. Folglich wohnte die Gruppe im Zentrum für Gebet und Dialog in Oświęcim einem etwa einstündigen Vortrag von Joanna Kwiatkowska bei. Hierbei vermittelte die Vertreterin der Sinti*zze-und-Rom*nja-Gesellschaft Oswiecim einen informativen Überblick über die Herkunfts- und Entwicklungsgeschichte der Sinti*zze und Rom*nja von deren Ansiedlung auf europäischen Raum im Mittelalter über erste Konflikte im 15. Jahrhundert, die über Jahrhunderte hinweg immer wieder erneut aufflammten und schließlich in der Erfassung, Verfolgung und Deportation während des Dritten Reiches gipfelten. Ebenso ging sie auch auf die teilweise sehr schwierige Situation der Sinti*zze-und-Rom*nja-Gemeinschaft in der Gegenwart ein.

Auf diesem Grundlagenwissen baute anschließend die Multimediapräsentation einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte Auschwitz auf, mit Hilfe derer diverse Einzelschicksale von im KZ Auschwitz inhaftierten Sinti und Roma näher untersucht wurden. Weiter vertieft wurden die hier gewonnenen Erkenntnisse durch das Zeitzeugengespräch mit Herrn Edward Paczkowski. Der am 30. März 1930 in der polnischen Kleinstadt Grabow geborene Rom überlebte als Einziger seiner Familie den Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti*zze und Rom*nja. Als Zwölfjähriger ist er als Mitglied einer polnischen Untergrundorganisation beim Versuch, deutsche Panzer zu zerstören, verhaftet und in Auschwitz inhaftiert worden, worauf 1944 und 1945 Deportationen in die Konzentrationslager Buchenwald, Harzungen und Bergen-Belsen folgten. Die erschreckenden Ausführungen des mittlerweile 82-Jährigen über das menschenverachtende Leben in den Lagern bildeten ohne jeden Zweifel den emotionalen Höhepunkt für alle Beteiligten dieser Fahrt.

Um einen kleinen Beitrag zur Erhaltung der Gedenkstätte zu leisten, verrichtete die Gruppe im Laufe eines Vormittags verschiedene Erhaltungsarbeiten auf dem Gelände des Stammlagers. Zum Gedenken an die unzähligen Opfer, die im KZ Auschwitz ihr Leben lassen mussten, erhielten alle Mitreisenden darüber hinaus die Möglichkeit, eine Kerze oder eine Blume im Stammlager niederzulegen. Da die Ausmaße der Eindrücke ideologischen Vernichtungswahns und daraus resultierendem Leid, Elend und Tod erfahrungsgemäß sehr erdrückend auf die Teilnehmenden wirken, erhielten diese jeden Abend die Gelegenheit, das über den Tag hinweg Erlebte in Kleingruppen zu reflektieren und somit ihre Erfahrungen und Gedanken untereinander auszutauschen.

Auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslager, das von alten Stacheldrahtzäunen umzäunt ist und wo im Hintergrund noch ein alter Wachturm steht, läuft gerade eine Gruppe von Menschen, die warm angezogen sind und fast alle Kaputzen oder Mützen tragen. In der Mitte von ihnen ist ein Wagen zum Ziehen. Sie haben alle ein Arbeitsgerät in der Hand, zum Beispiel Rechen oder Schaufeln. Der Weg, auf dem sie laufen, hat rechts und links im Abständ von ein paar Metern große Birken stehen, die alle genauso kahl sind, wie die Bäume, die hinter dem Gelände zu erblicken sind.
Die Teilnehmer*innen leisteten einen Vormittag lang Erhaltungsarbeiten auf dem Gelände der Gedenkstätte Auschwitz.

Bevor die Gruppe für die letzten eineinhalb Tage nach Krakau aufgebrochen ist, begaben sich die Teilnehmenden in Form einer Stadtführung auf Spurensuche nach jüdischem Leben in Auschwitz, bei der unter anderem der Ort der ehemaligen Fabrik der jüdischen Familie Haberfeld und der ehemaligen Großen Synagoge sowie der jüdische Friedhof Oświęcims und die noch existierende Synagoge, die während der deutschen Besatzungszeit als Munitionslager diente, besichtigt wurden. Die in Oświęcim begonnene Spurensuche setzte sich schließlich auch in Krakau fort, bei der der Gruppe u.a. der ehemalige Deportationsplatz, ein Teil der Mauer, die einstmals das jüdische Ghetto Krakaus umgab oder der nahe dem Ghetto liegende Steinbruch, in dem Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit verrichten mussten, gezeigt wurden. Darüber hinaus bestand auch die Möglichkeit, die ehemalige Emaillewarenfabrik Oskar Schindlers und die dazugehörige Ausstellung über die deutsche Besatzung Polens zu besuchen.

Voller Eindrücke und Erfahrungen, die das von den Nationalsozialisten angerichtete Grauen eindringlich verdeutlicht haben, begab sich die Reisegruppe am Abend des 09. Aprils 2012 auf die Heimreise zurück nach Deutschland. Erneut hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, gerade auch jungen Menschen die Schrecken des Nationalsozialismus direkt vor Ort näher zu bringen, um sie vor Verfälschung oder schlimmstenfalls gar dem Vergessen zu bewahren.

Nun bleibt noch ein Mal zu betonen, dass wir nach dieser erfolgreichen Fahrt alles daran setzen werden, dieses Projekt auch im nächsten Jahr wieder anzubieten. Ein solcher Besuch ist unerlässlich für die geschichtliche und politische Bildung, wird jedoch von Schulen in Borna leider nur unzureichend angeboten. Daher sollte klar sein, dass die Fortsetzung dieses einmaligen Angebotes in Sachen Aufklärung, Entwicklung von gegenseitigem Respekt sowie historischem und sozialem Bewusstsein von zentraler Bedeutung ist.

Auf der Seite Überblick Gedenkstättenfahrten sind alle Bildungsreisen aufgelistet, die der Verein seit seiner Gründung durchgeführt hat.