Ein langer und steiniger Weg zurück nach Deutschland
Im Mai 2013 wurde die damals elfjährige Chala zusammen mit ihrer schwangeren Mutter unter anmaßenden und widerrechtlichen Umständen nach Mazedonien abgeschoben, von wo aus sie drei Jahre zuvor traumatisiert durch die Gewalt und den Morddrohungen der eigenen Familie, geflohen waren. Der Verein Bon Courage e.V. verurteilte die rechtswidrige Abschiebung sowie das rücksichtslose Auseinanderreißen einer jungen Familie und setzte sich für die Wiedereinreise nach Deutschland ein, welche erst nach über einem Jahr im August 2014 erfolgen konnte. So groß die Freude über die Rückkehr war, die extremen Strapazen und Probleme, die Mutter und Tochter in den 14 Monate ausgesetzt waren, hätten beiden erspart bleiben können, wenn sich die zuständigen Behörden, die dieses Schicksal zu verantworten haben, anders verhalten hätten. Nachfolgend möchten wir diesen langen Kampf und den schweren Weg von Shengjul und Chala Revue passieren lassen und uns zugleich bei allen Unterstützer*innen, die die Rückkehr mit ermöglicht haben, bedanken.
Die Flucht nach Deutschland
Im Jahr 2010 war Shengjul zusammen mit ihrer Tochter aus Mazedonien nach Deutschland geflohen, um einen Asylantrag zu stellen. Die Flucht begründete sich vor allem durch die physischen und psychischen Gewaltausübungen des Ex-Ehemannes und den zunehmenden Morddrohungen der männlichen Familienmitglieder seit der Trennung von ihrem tyrannischen Ehemann. Der Asylantrag wurde abgelehnt und beide lebten über zwei Jahre mit einer Duldung, welcher viele gesetzliche Einschränkungen auferlegt sind. Aufgrund der gewalterfüllten, traumatisierenden Erfahrungen in Mazedonien und der ständigen Angst, wieder zurückgeschoben zu werden, litt Shengjul an schweren psychischen Störungen wie Depressionen, Angstzuständen, Suizidalität und einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Sie unterzog sich in Deutschland deswegen mehreren stationären und teilstationären psychotherapeutischen Behandlungen und konnte ihren Alltag nur mit der Einnahme von Psychopharmaka bewältigen. Trotz der oben genannten Diagnosen und mehrfacher Suizidversuche attestierte der zuständige Amtsarzt eine Reise- und Flugtauglichkeit.
Im Jahr 2012 lernte Shengjul in Deutschland ihren jetzigen Ehemann kennen, mit dem sie sich im Dezember 2012 verlobte. Eine Eheschließung wurde jedoch von den zuständigen Behörden verhindert, indem die notwendigen Papiere bewusst vorenthalten wurden, um zeitgleich die Abschiebung nach Mazedonien vorbereiten zu können. So fehlte für die standesamtliche Eheschließung einzig und allein die Kopie von Shengjuls Reisepass, welcher bei der Zentralen Ausländerbehörde in Chemnitz hinterlegt war und mehrfach durch die Anwältin und das zuständige Standesamt beantragt wurde. Die Zentrale Ausländerbehörde, welche parallel für die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerber*innen verantwortlich ist, wusste daher von den Eheschließungsabsichten. Doch weder dieses Wissen, noch die spätere Nachricht von Shengjuls Schwangerschaft, hinderten die Behörde daran, eine rechtswidrige, menschenunwürdige und zudem kostenintensive Abschiebung einzuleiten. Der Familie wurde somit das Grundrecht auf Ehe und Familie abgesprochen.
Die Abschiebung
In den frühen Morgenstunden des 28. Mai 2013 wurden Chala und ihre schwangere Mutter gegen 2 Uhr in ihrer Wohnung von mehreren Polizist*innen geweckt und zur weiteren polizeilichen Folgeleistung aufgefordert. Das autoritäre und repressive Auftreten der Polizist*innen löste bei Shengjul starke Angst- und Panikzustände mit selbstverletzenden Handlungen aus, welche sie unfähig machten, eigenständig ihren Koffer zu packen. Unbeeindruckt von ihrer schlechten psychischen Verfassung fuhr man Shengjul und Chala zur Polizeistation nach Leipzig, von wo aus man sie später zum Flughafen Baden-Baden an der deutsch-französischen Grenze brachte. Über den Eilantrag, welchen Shengjuls Anwältin bereits einige Tage vor der Abschiebung beim Verwaltungsgericht in Leipzig eingereicht und mit der Schwangerschaft und der schlechten psychischen Verfassung begründet hatte, lag zu diesem Zeitpunkt noch keine zugestellte Entscheidung vor, wonach die Abschiebung (nach §36 Abs. 3 Satz 8 AsylVfG) unzulässig gewesen wäre.
Bereits am Tag der Abschiebung folgten wir Shengjul und Chala zum Abschiebeflughafen nach Baden-Baden und versuchten die zwanghafte Rückführung noch bis zur letzten Minute zu verhindern. Leider haben wir damals diesen Kampf und unsere Hoffnung verloren, als das Verwaltungsgericht Leipzig einige Stunden vor Abflug des Charterflugzeugs einen zweiten Eilantrag ablehnte, den die Anwältin am gleichen Tag gestellt hatte. Danach war die Abschiebung nicht mehr zu verhindern. Wir waren ihnen mit der Zuversicht gefolgt, sie wieder mit zurücknehmen zu können, da wir bis zur letzten Sekunde die Hoffnung auf einen positiven Beschluss des Gerichts hatten, gaben die bekannten Eheschließungsabsichten und die Schwangerschaft doch ausreichend Grund. Stattdessen mussten wir mit ansehen, wie das Charterflugzeug vor unseren Augen mehrere Dutzend Geflüchtete nach Mazedonien und Serbien abschob. Welche weiteren Einzelschicksale und welches Leid damals neben Shengjul und Chala in dem Flugzeug waren, konnten wir nur ahnen. Die gesamte Abschiebung nach Mazedonien dauerte über 20 Stunden und endete mit einem Polizeiverhör von Shengjul am Flughafen in Skopje, der Hauptstadt von Mazedonien, bei der man ihr erneut die Reisepässe entzog. Aufgrund völliger Erschöpfung musste sie nach diesem Verhör ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nach der Ankunft waren Shengjul und Chala obdachlos, ohne ausreichend finanzielle Mittel und befanden sich zudem in einer lebensbedrohlichen Situation, da sie fortwährend den Drohungen der eigenen Familie in Mazedonien ausgesetzt waren. Nur auf Grund privater Spenden aus Deutschland war es möglich, eine vorläufig sichere Unterkunft für beide finanzieren zu können.
Der lange Kampf der Rückkehr
Durch vermehrte Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland versuchten wir nun auf die Geschichte und die erfolgte widerrechtliche Abschiebung aufmerksam zu machen, um ferner eine sofortige Rückkehr einzufordern. Allerdings wurde uns schnell bewusst, dass die rigorosen Sanktionsmethoden, die seitens deutscher und mazedonischer Behörden abgeschobenen Asylsuchenden auferlegt werden, eine schnelle Wiedereinreise unmöglich machen sollten. Seitens der deutschen Gesetzgebung wird gegen abgeschobene Asylsuchende eine unbefristete Einreisesperre verhängt. Shengjuls Anwältin stellte deshalb einen Antrag auf Befristung der Einreisesperre bei der Zentralen Ausländerbehörde in Chemnitz, welcher lange Zeit unbeantwortet blieb und letztendlich auf ein Jahr befristet wurde, mit dem Vermerk, dass Shengjul bei einer Rückkehr alle entstandenen Abschiebekosten, zu begleichen habe. Auch die mazedonischen Behörden, welche auf Druck der Europäischen Union zunehmend zu Maßnahmen gegen zurückgeschobene Staatsbürger*innen greifen, zögerten die Ausreise willkürlich in die Länge, indem sie die Pässe über ein Jahr einbehielten. Auch der Widerspruch, den Shengjuls mazedonische Anwältin dagegen einlegte, wurde abgelehnt. Ohne Pass und mit auferlegter Einreisesperre war es unmöglich bei der deutschen Botschaft einen Antrag auf Familienzusammenführung nach Deutschland zu stellen, welche spätestens nach erfolgter Eheschließung in Mazedonien von Shengjul und ihrem Mann im Juni 2013 und nach der Geburt des Kindes im Dezember 2013, fällig gewesen wäre.
Angst und Warten
Nach der traurigen Gewissheit, dass die Familienzusammenführung durch die bereits genannten Repressalien nicht so schnell stattfinden konnte, begann für alle eine lange, bittere Zeit des Wartens. Shengjuls Mann verpasste dadurch nicht nur die gesamte Schwangerschaft, die Geburt und die ersten Lebensmonate seines Sohnes, sondern lebte zudem in ständiger Sorge um die finanzielle und gesundheitliche Situation seiner Familie. Durch den entzogenen Reisepass und die Ehe mit einem deutschen Staatsbürger war es Shengjul in Mazedonien unmöglich, Sozialleistungen zu beantragen, wodurch ihr der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung unmöglich war und sie alle Behandlungen und Vorsorgeuntersuchungen selbst bezahlen musste. Diese Tatsache widerspricht nun zweifellos der deutschen Rechtsprechung, die behauptete, Shengjul habe in Mazedonien einen problemlosen Zugang zu Sozialhilfe und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten. Ferner waren Shengjul und Chala durch die anhaltende familiäre Verfolgung in Mazedonien dazu gezwungen, sich möglichst versteckt und unauffällig zu verhalten, damit die Familie nichts über ihren Aufenthalt erfuhr. Demnach konnte Chala ein Jahr lang nicht die Schule besuchen und verbrachte die letzten 14 Monate isoliert und versteckt mit ihrer Mutter in Mazedonien. Diese beengten und gefährlichen Lebensbedingungen hatten nicht nur gravierende Auswirkungen auf die schulische und altersgerechte Entwicklung von Chala, sondern waren zudem der Auslöser für die Risikoschwangerschaft und die viel zu riskante Frühgeburt von Shengjuls Baby Anfang Dezember 2013.
Happy End?
Die Geschichte von Chala und Shengjul hat im Juli 2014 vorerst ein glückliches Ende genommen, nachdem die deutsche Botschaft in Mazedonien ein Visum zur längst fälligen Familienzusammenführung nach Deutschland ausstellte und sie somit für die nächsten drei Jahre einen gültigen Aufenthaltstitel haben. Jedoch haben die dramatischen Umstände der Abschiebung, das repressive Verhalten der Behörden und das Jahr in Mazedonien, bei allen tiefe Wunden hinterlassen. Außerdem ist diese Geschichte hierbei nur ein herausgegriffenes Beispiel, wie in Deutschland und Europa mit Asylsuchenden umgegangen und wie verantwortungslos ihre Würde täglich missachtet wird. Rigorose Abschiebungen von geflüchteten Menschen sind in Deutschland trauriger Alltag, der politisch gewollt ist und den humanistischen Anspruch des Asylrechts und der Verfassung schon seit langem nicht mehr gerecht wird. Ferner verstoßen die, den Zurückgeschobene auferlegten Sanktionen gegen grundlegende Menschenrechte. Denn sowohl das Recht in einem anderen Staat um Asyl zu suchen als auch das Recht das eigene Land zu verlassen, sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als auch in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert. Im Übrigen unterstreicht das Beispiel nur allzu gut, dass es sich bei Mazedonien um kein sicheres Herkunftsland handelt.